Sehr geehrte Mitglieder und Förderer!
Erst seit wenigen Tagen bin ich aus Nepal zurück, aber gedanklich sitze ich immer noch in Rapcha in Kamans Lodge bei einer Tasse heissem Ingwertee und sehe dem Kommen und Gehen der Dorfbewohner zu, welche auf einen kleinen Schwatz vorbeikommen. Es ist so viel passiert in den Tagen in denen ich im Dorf war, dass ich mich erst noch gedanklich sortieren muss. Der Grundstein für den Bau der Jungenunterkunft wurde gelegt, der kleine Tempel beim Kindergarten wurde mit einer sehr feierlichen Zeremonie eingeweiht, ich habe einige Meetings mit den verschiedenen Dorfkomitees geleitet, das Shanti Team hat ein weiteres Gesundheitscamp im Dorf abgehalten und ich habe unzählige, wunderbare Begegnungen mit den Dorfbewohner gehabt… Sie sehen, es war recht viel los und ich habe sehr glücklich und dankbar meine Heimreise angetreten. Eines kann ich Ihnen aber schon jetzt sagen: die gesamte Dorfbevölkerung ist IHNEN, liebe SpenderInnen und Mitglieder, überaus dankbar für IHRE grossartige Unterstützung, welche Re:Help dem Dorf in den letzten 10 Jahren hat zukommen lassen. Dank Ihrer Spenden ist aus dem kleinen Dorf mit der maroden Schule ein blühendes Schulzentrum geworden, welches in der gesamten Region bekannt ist. Hier mein kleiner Reisebericht:
Die Anreise nach Rapcha war diesmal eigentlich ganz angenehm. Gemeinsam mit Re:Help Vereinsmitglied Corinna, unserem Projektkoordinator Pancha sowie seiner Frau Sangita und seinen beiden Söhnen * machten wir uns von Kathmandu aus mit dem Geländewagen auf den Weg Richtung Solukhumbu. Unser Plan war, nicht die gesamte Strecke durchzufahren sondern zwei Übernachtungen einzulegen, damit Corinna ein wenig Einblick in die wunderbare Kultur hat und die schönen Orte mit ihren Klöstern sieht. Inklusive Sonnenaufgangswanderung zu einem Aussichtspunkt mit Blick auf den Himalaya und natürlich dem Mount Everest. Nach unserem letzten Zwischenstopp mit Übernachtung im Ort Junbesi machten wir uns dann auf in Richtung Phaplu, doch vorher wollten wir noch an einer Baumschule vorbeischauen, um einige Obstbäume für den Kindergarten und das Girlshostel zu kaufen. Da derzeit keine Pflanzzeit für Äpfel war, entschieden wir uns für Kiwi- und Pfirsichpflanzen. In Phaplu assen wir zu Mittag und auf der Strasse war einiges los. Eine Gruppe junger Frauen hatte einen kleinen Lautsprecher dabei und zog tanzend von Haus zu Haus. Ich stellte mir die Frage, was das zu bedeuten hatte. Pancha erklärte, dass dies ein wichtiger Bestandteil des Tihar Festivals ist. Dieses dauert fünf Tage lang und an einem davon ziehen Frauen- oder Männergruppen tanzend durch die Dörfer und bitten um Spenden oder Essen. Ich sah also diesem lustigen, buntem Treiben eine Weile zu und fing langsam an zum Rhytmus zu wippen. Und ehe ich´s mir versah, war ich auch schon unter den tanzenden Frauen und hatte einen Heidenspass. Doch lange bleiben konnte ich nicht, denn der Fahrer wartete schon auf uns, wir hatten ja den schlimmsten Teil unserer Strecke noch vor uns: die Holperstrasse nach Rapcha. Ach, was soll ich dazu sagen? Es ist nicht schön, vier Stunden lang in einem Geländewagen durchgeschüttelt zu werden, manchmal weiss man gar nicht mehr, wie oder wo man sich noch fest halten kann. Aber noch schlimmer sind diese furchterregenden, abschüssigen Passagen, in denen ich einfach nur die Luft angehalten und die Augen zugekniffen habe. Die Strecke von Phaplu nach Rapcha ist nichts für schwache Nerven.
Eine Kurve noch und dann waren wir endlich bei Kamans Guesthouse angekommen. Erleichtert und dankbar darüber, dass wir diese Fahrt unbeschadet überstanden hatten, stieg ich aus dem Auto aus und ging in die Lodge, welche für die Zeit im Dorf mein Zuhause sein sollte. Oh, was war das für ein schönes Wiedersehen! Kaman und seine Frau Rasdhani hatten bereits auf unsere Ankunft gewartet und begrüßten uns freudig mit Blumenketten und Katas, welche sie uns um den Hals legten. Kaman ist seit kurzer Zeit stolzer Besitzer einer eigenen Bäckerei, diese hat er im Erdgeschoss seiner Lodge eingerichtet und ich staunte nicht schlecht, als er mir duftende Muffins unter die Nase hielt, welche er soeben aus dem Ofen geholt hatte. Panchas ältester Bruder hatte sich seinen Traum erfüllt! Er wollte immer schon Bäcker werden und bei meinem letzten Besuch im Dorf, bei dem ich auch in seiner Lodge gewohnt hatte, kam ich in den Genuss seiner Backkünste. Ich sprach ihn damals darauf an, dass er unbedingt etwas aus seinem Talent machen muss. Es bedurfte einiger Überzeugungsarbeit von mir aber nun hatte Rapcha die erste Bäckerei! Und Kaman berichtete, dass ihm die Dorfbewohner den Laden einrennen. Jeden Tag bekam er einige Aufträge und manchmal musste er ganz schön rödeln, um alles abzuarbeiten. Ha! Ich wusste, dass der Laden laufen wird. Ich weiss ja, wie sehr die Nepalis auf Süsses stehen. Der Erfolg schien mir damals schon garantiert. Umso mehr freute ich mich mit ihm und stolz zeigte er mir seine Bäckerei und erklärte mir alles bis ins kleinste Detail. Und so ging der Abend sehr gemütlich zu Ende, wir bezogen unsere Zimmer, es kamen noch einige mir bekannte Dorfbewohner vorbei, um Corinna und mich zu begrüßen, aber schon bald gingen in der Lodge die Lichter aus und alle legten sich schlafen. Ich freute mich auf die nächsten Tage in Rapcha und war gespannt, welche Überraschungen auf mich warteten.
Der Tag beginnt in Nepal schon früh, ich hörte bereits geschäftiges Treiben in der Lodge als ich schlaftrunken nach unten ging, um mir eine Tasse Kaffee einzugiessen. Jobir, ein überaus talentierter Schreiner, begrüßte mich mit einem Lächeln und einem „good morning Rena“. Er hilft oft in Kamans Lodge in der Küche aus und hat schon häufig für Trekkinggruppen als Koch gearbeitet. Ich kenne ihn seit meinem ersten Besuch im Dorf, welcher mittlerweile elf Jahre her ist. Jobir ist ein feiner Mensch und ich freute mich sehr, ihn zu sehen. Ich schnappte mir meinen Kaffee, stellte mich auf den kleinen Balkon und sah nach unten. Rasdhani liess gerade die Hühner raus, der Hund schlief wie immer in seinem Unterstand, Rasdhanis betagte Mutter stand beim Brunnen und murmelte leise vor sich hin. Es war so, wie immer. Als ob ich niemals weg gewesen wäre. Alles war gewohnt und vertraut. Dennoch hatte ich das Gefühl, ich hatte etwas vergessen. Da fiel es mir ein! Ich hatte den Numbur noch nicht begrüßt! Schnell raus aus der Lodge, hinauf zum Weg, der eine kleine Kurve macht und dann stand er vor mir. Weiss leuchtete sein Gipfel in der strahlenden Morgensonne und ich liess lange meinen Blick auf dem vergletscherten 6958 Meter hohen Berg liegen. Nun erst war ich wirklich in Rapcha angekommen.
Nach einer wunderbar erfrischenden Bucketshower machten Corinna, Pancha und ich eine kleine Erkundungsrunde im Dorf. Der Weg führte uns zum Bauplatz der Jungenunterkunft, welcher sehr nah an der Schule liegt. Doch oje! Der gesamte Hang oberhalb der Schule war abgeholz worden und sah nun sehr kahl und trostlos aus. Jedoch mussten die Bäume alle gefällt werden, da Ungeziefer diese geschwächt hatte und bei einem Sturm etliche davon bereits umgestürzt waren. Pancha erklärte, dass der Hang wieder aufgeforstet wird, allerdings nicht mehr mit Kiefern, sondern mit Kiwis, Avocados, Pfirsichen und noch anderen Sorten. Im Anschluß wollten wir in Girls Hotel schauen, allerdings hatte es geschlossen, da ja in Nepal derzeit Ferien waren. Wir mussten auf Schuldirektor Man Bahadur waren, der den Schlüssel dafür hatte. Also gingen wir kurzerhand bei der Familie von Mani vorbei, um Hallo zu sagen. Mani stammt aus Rapcha und lebt seit 2017 mit seiner Frau Heike in Frankfurt. Aber sein Bruder Binod und dessen Familie leben immer noch im Dorf und daher war ein Besuch bei ihnen ein wichtiger Programmpunkt von mir. Nachdem wir eine Tasse Tee getrunken und etwas geplaudert hatten, gingen wir wieder zurück zur Mädchenunterkunft. Der Schuldirektor hatte mittlerweile aufgeschlossen und wir sahen uns ausgiebig um. Seit Mitte des Jahres hatte der englisch-nepalesische Verein „Stay at School“ in Kooperation mit der Dorfschule die Betreibung des Hostels übernommen, damit eine professionelle Betreuung der Mädchen garantiert werden kann. Ich schaute mir die verschiedenen, baulichen Adaptionen an und warf auch einen Blick in das Gewächshaus, welches neben der Unterkunft errichtet worden war. Darin befanden sich unter anderem riesige Blumenkohlköpfe und kleine Strauchtomaten. Die Mädchen schienen einen grünen Daumen zu haben. Pancha rief nach mir und ich ging wieder ins Girlshostel. Er hatte eine Überraschung für mich. Na, jetzt war ich aber sehr gespannt! Er bat mich in einen der hintersten Räume und präsentierte mir stolz, „mein“ Büro. Er hatte gemeinsam mit dem Schulkomitee entschieden dass, wenn ich in Rapcha bin, einen ordentlichen Schreibtisch sowie einen eigenen Raum zum Arbeiten bräuchte. Während meiner Abwesenheit würde das Zimmer für interne Meetings und Einzelgespräche mit den Schülerinnen genutzt. Na, die Überraschung ist Pancha eindeutig gelungen. Nun hatte ich ein eigenes Büro in Rapcha! Wer hätte das gedacht.
Am Nachmittag waren Corinna und ich bei Khasbir und seiner Familie eingeladen. Khasbir ist Kamans bester Freund und ebenso ein passionierter Bäcker und Koch. Pancha erklärte, dass heute in Nepal das Bruder- und Schwesterfest, in Nepal Bahi Tika genannt, gefeiert wird. Es ist der letzte Tag des Tihar-Festivals, an dem die besondere Beziehung zwischen Brüdern und Schwestern in einer feierlichen Zeremonie geehrt wird. Wir spazierten den Berg hinunter zu Khasbirs Haus und wurden schon von Weitem freudig von ihm und seiner Frau begrüßt. Wir wurden in die oberste Etage seines Hauses geführt, wo bereits eine Segnung zwischen den Geschwistern stattfand. Es war interessant zu sehen, wie die Schwester ihren Brüdern auf der Stirn, am Hals und den Ohren eine siebenfarbige Tika aufträgt. Wenn die Tika vollendet ist, beschenken die Schwestern ihre Brüder häufig mit Früchten und Süßigkeiten und hängen ihnen Blumenketten um den Hals. Und dann sind die Schwestern dran. Alles in Allem eine recht komplizierte Geschichte mit vielen, einzelnen Abläufen, welche ich nicht ganz verstanden habe. Aber es war trotzdem schön, dabei zu sein. Auf unserem Nachhausweg lief ein Schwein vor uns her, es war seinem Besitzer wohl ausgebüchst. Ich drohte ihm damit, bei uns als Abendessen auf dem Teller zu landen und schwups- bog das Schwein schnell ab und fort war es.
Am nächsten Morgen brach ich mit Kaman zu einer kleinen Wanderung auf ein Hochplateau auf, von dem aus man eine noch bessere Sicht auf die weissen Gipfel des Himalayas hatte. Corinna wollte in der Lodge bleiben, etwas lesen und Wäsche waschen. Um kurz nach sieben wanderten Panchas Bruder und ich über die Terrassenfelder bergauf und Kaman erklärte mir dies und das bis auf einmal eine Frau nach Kaman rief. Sie winkte uns zu meinte, wir sollten doch auf einen Plausch bei ihr vorbeikommen. Bei ihrem Hof angekommen, bat sie uns in ihr Haus hinein und wir setzten uns an das offene Feuer. Beim Betreten des Hauses sah ich sofort, dass hier die Armut wohnte. Ich habe schon viele Häuser in Rapcha gesehen, aber dieses war sehr spartanisch eingerichtet. Die Frau blickte mich skeptisch und distanziert an. Drei ihrer insgesamt fünf Töchter waren ebenfalls da, diese musterten mich neugierig. Kaman übersetzte für mich und erzählte, dass die Frau mit ihren Kindern alleine dasteht. Ihr Mann war letztes Jahr bei einem Unfall gestorben und nun muss sie sehen, wie Sie ihre Familie durchbringt. Nun wurde mir klar, dass der Blick der Fau keine Skepsis zeigte, sondern eine große Scham, welche die Frauen in Nepal häufig versuchen zu überspielen. Das Schicksal meint es oft nicht gut mit ihnen und diese Frau hatte es besonders hart getroffen. Diese Begegnung beschäftige mich noch tagelang im Nachhinein. Wie schwer muss die Last auf den Schultern dieser Frau liegen? Wie gross müssen ihre Sorgen sein? Ich kann es mir kaum vorstellen und es zeigte sich wiedereinmal, wie wichtig unsere Arbeit hier vor Ort ist. Und wie dankbar ich Marianne Grosspietsch, Gründerin der Shanti Leprahilfe e.V., bin. Denn durch eine glückliche Fügung kamen Re:Help und Shanti zusammen. Seit 2021 hält dieser Verein hier im Dorf regelmässige Gesundheitscamps ab und garantiert so die medizinische Grundversorgung für die Einwohner Rapchas. Ja, man brauchte auch Glück im Leben. Und ich wünschte dieser Frau und ihren Töchtern von Herzen ganz viel Glück!
Als wir von unserem kleinen Erkundungstrip zurück in der Lodge waren, dauerte es nicht lange, und die Mitglieder des RBC trudelten ein, um mit mir zu sprechen. Pradip, der Vorsitzende des lokalen Vereins erklärte mir, wofür RBC gegründet worden war und was die Tätigkeiten des Vereins sind. Die grobe Zusammenfassung lautet: der Verein sammelt Spenden für einen Nothilfefond, welcher den Einwohnern von Rapcha zugute kommt. Dies betrifft hauptsächlich den Bereich der medizinsche Notfallversorgung. Da es aufgrund der Infrastruktur nicht möglich ist, schnelle medizinische Hilfe zu leisten, geht es bei schweren Arbeitsunfällen oder auch bei einem Herzinfarkt sehr schnell um Leben und Tod. Da es aber in Nepal keine staatliche Krankenversicherung beziehungsweise generell kein staatliches Gesundheitssystem gibt, müssen die Nepalesen sämtliche Kosten für Behandlungen und Transport selber bezahlen. Und um diese hohen Kosten abzufedern, sammelt der Verein dafür Spenden. Ich besprach mich kurz mit Pancha und klärte noch einige Details mit ihm ab und kam zu dem Schluss, dass Re:Help diese wichtige Initiative mit eintausend Euro unterstützen wird. Ich finde es sehr beeindruckend, wie sehr sich die Dorfbewohner untereinander organisieren und sich gegenseitig kümmern. Damit versuchen Sie die Lethargie der Regierung auszuhebeln, denn auf diese ist keinerlei Verlass. Hilfe zur Selbsthilfe ist das Motto und da bin ich voll dabei!
Als ich am nächsten Morgen wach wurde, musste ich erst überlegen, welcher Wochentag eigentlich war. Ach, egal. Das ist ja nicht so wichtig. Ich ging runter, schnappte mir einen Kaffee, Kaman begrüßte mich wie immer mit einem Lächeln im Gesicht und ich trat auf den Balkon. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Sehr gut! Ich nahm meine Jacke und meinte zu Kaman, dass ich zum Frühstück zurück sein werde. Langsam ging ich den Fussweg hoch in Richtung Girls Hostel, überall auf den Höfen krähten die Hähne um die Wette und ich genoss die frühmorgendliche Ruhe im Dorf. Ich setze mich am Hang unterhalb der Mädchenunterkunft auf einen großen Stein und wartete auf den Sonnenaufgang. Unten auf dem Vorplatz der Schule spielten schon einige Jungs eifrig Fussball. Wahnsinn, welche Energie sie hatten. Ich liess meine Gedanken schweifen, erinnerte mich an meinen allerersten Besuch in Rapcha vor über elf Jahren. Damals gab es noch keinen Fahrweg ins Dorf und nur einzelne Häuser hatten Strom und wenn man mit dem Handy telefonieren wollte, musste man einen steilen Hügel hinaufwandern, um wenigstens ein kleines Bisschen Empfang zu haben. Die Einwohner waren damals sehr zurückhaltend und scheu, nur wenige haben mich in ihre Häuser gelassen. Aber das war ja eigentlich verständlich, denn sie kannten mich nicht und wussten auch nicht, in welcher Absicht ich gekommen war. Über die Jahre haben sie sich mir gegenüber geöffnet- das Vertrauen musste ich mir hart erarbeiten und manchmal gab es auch kleine Rückschläge. Im Endeffekt musste ich als Frau genau das tun, was alle nepalesischen Frauen tun mussten: mich behaupten. Und dies gelang mir nicht, im dem ich polternd und laut auf mich aufmerksam machte. Im Gegenteil. Oftmals sass ich bei meinen Besuchen einfach nur da und beobachtete die Menschen um mich herum. Über die Jahre haben die Dorfbewohner gemerkt, dass sie mir Vertrauen können und dass das, was Re:Help ihnen zusichert, auch eingehalten wird. Sie haben erkannt, dass Re:Help ein zuverlässiger Partner ist und nicht nur viel verspricht aber nichts einhält. Das alles ist Geschichte und lässt mich schmunzeln, wenn ich daran denke. Jetzt ist es so, dass ich meistens wenig Ruhe im Dorf habe. Viele kennen mittlerweile meinen Namen und rufen mir schon von Weitem ein freundliches „Namaste, Rena“ zu. Vergessen ist all die Skepsis, die anfangs da war. Ganz ungewohnt ist es noch für mich, dass viele der älteren Dorffrauen mich fest umarmen, wenn sie mich treffen. Das ist eigentlich in der nepalesischen Kultur eher fremd, und umso überrumpelter fühle ich mich manchmal. Aber es ist ein Zeichen ihrer Wertschätzung und Zuneigung und so freue ich mich über jede Umarmung. Langsam ging die Sonne auf, ich streckte ihr mein Gesicht entgegen und genoss die angenehme Wärme. Ich blieb noch eine Weile sitzen und machte mich dann auf den Weg zu Kamans Lodge. Corinna war bestimmt auch schon wach und wartete auf mich. Und es war sowieso Zeit für einen zweiten Kaffee. Nach dem Frühstück gingen wir gemeinsam mit Pancha zum Kindergarten. Leider waren keine Kinder da – wir erinnern uns: in Nepal waren immer noch Ferien! Jobir kam mit dem Schlüssel angeflitzt und wir schauten uns ein wenig drinnen um. Alles war so schön, wie immer. Stolz zeigte mir Jobir seine angefertigten Holzbauklötze, welche wir bei ihm in Auftrag gegeben hatten. Er war wirklich ein toller Schreiner! Am Nachmittag machten Corinna, Kaman und ich noch eine kleine Erkundungsrunde im Dorf. Corinna war begeistert von Rapcha und seinen Menschen und fühlte sich sehr wohl. Ich freute mich darüber und bedankte mich dafür, dass sie sich mit mir auf den langen Weg nach Rapcha gemacht hatte. Aber sie hatte sich auch Arbeit mitgebracht. Sie wollte mit den Lehrern und Schülern Kunst-Workshops veranstalten zum Thema „sacred geometry“. Mit Hilfe von Zirkel, Lineal und Bleistift werden aus Kreisen und Strichen kunstvolle Bilder angefertigt. Da ich davon bisher keine Ahnung hatte, war ich auf jeden Fall sehr gespannt darauf, bei den Workshops zuzusehen. Am nächsten Tag sollte der erste mit den Lehrern stattfinden.
Am nächsten Morgen hatte ich eine besonders schöne Begegnung, denn ich lernte Manis Vater (wir erinnern uns: Mani lebt seit 2017 in Frankfurt) kennen. Schon von Weitem sah ich, dass Mani seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war. Wie sehr er sich freute, mich zu sehen! Sogleich lud er uns für abends auf ein Tongba ein. Doch erst einmal musste Corinna ihren Workshop leiten und ich danach noch ein Meeting abhalten. Nach dem Mittagessen sollte es los gehen. Oh weh, da rauchten einige Köpfe, als Corinna ihren ersten Kurs abhielt. Die Lehrer und Lehrerinnen, welche sich zur Teilnahme angemeldet hatten, waren überaus eifrig bei der Sache, bei vielen lag die Stirn in Falten und sie waren höchst konzentriert. Jeder wollte es am besten machen. Corinna führte souverän durch den Kurs und wenn sie mit Englisch nicht mehr weiter kam, übersetzte Lehrerin Phambi Rai ins Nepalesische. Am Ende gab es ein tolles Gruppenfoto mit vielen, bunten Kunstwerken, einer stolzen Kursleiterin und glücklichen Teilnehmern. Im Anschluß daran hielt ich mein erstes Meeting mit dem Girls Hostel Komitee ab. Natürlich fand dies in meinem Büro statt. Wir besprachen die einzelnen Punkte, welche auf meiner Agenda standen und nach einer guten Stunde war die Besprechnung vorbei. Wir flitzten schnell rüber in Kamans Lodge, aßen zu Abend und machten uns dann gemeinsam mit Pancha und Kaman auf den Weg zu Manis Vater und dessen Familie und verbrachten einen sehr gemütlichen Abend mit ihnen.
Und so vergingen die Tage im Dorf wie im Flug. Corinna hielt mit den Schülern der 10. Klasse weitere Workshops ab, ich hatte noch einige Besprechungen mit den einzelnen Komitees und überreichte der Schule einen Spendenscheck in Höhe von 2.000,- Euro. Mein Mann Achim kam am Sonntag Abend aus Kathmandu angereist, denn er wollte gerne bei der Grundsteinlegung der Jungenunterkunft, welche für den nächsten Tag geplant war, dabei sein. Ich freute mich sehr, ihn nach seiner langen Fahrt auf den gefährlichen Strassen Nepals in die Arme zu schliessen. Um fünf Uhr morgens war er gemeinsam mit Purna, einem wichtigen Prediger aus Rapcha welcher auch bei der Grundsteinlegung teilnehmen wird, in Kathmandu aufgebrochen und sie hatten die gesamte Strecke bis ins Dorf an nur einem Tag bewältigt. Aber nicht nur ich freute mich, Achim zu sehen. Pancha war schon den ganzen Nachmittag unruhig und rief zig mal den Jeepfahrer an, mit welchem Achim und Purna unterwegs waren, um zu fragen, wo sie denn gerade seien und wann sie ungefähr ankommen würden. Aber nun waren sie endlich eingetroffen und die Freude über das Wiedersehen war bei allen groß und Kaman war ganz eifrig beim Backen, denn ich hatte 100 Muffins bestellt. Da ich wusste, dass das Shanti Team am Montag Abend eintreffen würde, um an der Schule das nächste Healthcamp abzuhalten, wollte ich sie gerne mit süssen Backwaren aus Kamans Bäckerei verwöhnen. Wir erinnern uns: Nepalesen lieben Süsses!
Der nächste Tag war vollgepackt mit Programm. Am Vormittag wurde der kleine Tempel neben dem Kindergarten in einer hinduistischen Zeremonie feierlich eingeweiht. Ab nun beherbert dieser Tempel Saraswati, die Göttin des Lernens und der Weisheit, sie verkörpert alles Wissen, einschließlich der Künste und Wissenschaften. Möge Saraswati allen den Segen bringen, den sie sich von ihr erhoffen. Nach der Mittagspause in Kamans Lodge kam der wichtigste Part des Tages: die Grundsteinlegung der Jungenunterkünfte. Lokalpolitiker, regionale Presse und sogar ein lokaler Fernsehsender, welcher die Zeremonie live im Fernsehen übertrug, waren dazu eingeladen worden. Die Politiker hielten ihre Reden, die Prediger weihten den Baugrund und den Grundstein, unzählige Fotos wurden gemacht und wunderbare Tänze von den Mädchen aufgeführt. Die Sonne lachte vom Himmel und es war wieder einmal ein sehr schönes Fest, welches in Kamans Lodge einen ruhigen Ausklang fand. Alle waren müde aber sehr glücklich. Am nächsten Morgen besuchten wir kurz das Shanti Team, welches am Vorabend in Rapcha eingetroffen war. Ich freute mich sehr, dass sie alle wieder gekommen waren, um die Dorfbewohner zu behandeln. Auch Kaman war mitgekommen und präsentierte stolz seine Muffins und erklärte, dass er alle selber gebacken hatte und er hoffe, dass sie ihnen schmecken würde. Im Anschluss daran pflanzten wir noch die gekauften Kiwi- und Pfirsichplanzen hinter dem Girlshostel und am Kindergarten. Ich hatte einige Geschenke für die Kinder dabei und nach einer kurzen Besprechnung mit dem Kindergarten-Komitee überreichte ich diese an die Erzieherinnen. Buntstifte, Puzzels, Malbücher, Papier,… alles Dinge, für die eigentlich das Bildungsministerium aufkommen sollte. Aber was nützt es hier zu lamentieren.
Am Nachmittag hatte ich eine wichtige Aufgabe! Kamans Frau Rasdhani hatte mich gebeten, sie und ihre betagte Mutter zum Gesundheitscamp zu begleiten. Seit unserer ersten Begegnung verstehen Rasdhani und ich uns sehr gut, obwohl es mit der Verständigung etwas schwierig ist. Aber Kaman hilft eifrig beim Übersetzen und so kam mir also die ehrenhafte Aufgabe zu Teil, die beiden Damen zu begleiten. Als wir auf dem Schulhof ankamen, herrschte reger Betrieb und ich fragte bei Shanti Projektkoordinator Bijendra nach, an wen wir uns wenden sollten. Kurz danach sass ich mit Rasdhani und ihrer Mutter im Behandlungszimmer der Gynäkologin. Ich erklärte Frau Dr. Rashmi kurz warum ich mit den beiden hier war und wollte mich sogleich auch verabschieden, denn Rasdhani war schon unterwegs in Richtung Untersuchungsstuhl, da meinte die Ärztin, ich sollte doch bitte bleiben. Ich sah sie mit einem großem Fragezeichen an! Wie? Ich sollte bleiben? Nein, nein, das wollte ich auf keinen Fall. Höflich erwiderte ich, dass das eine sehr private Untersuchung sei und ich dabei keinesfalls stören möchte. Darauf meinte die Gynäkologin: „Also sie hat kein Problem damit und die Patientinnen bestimmt auch nicht.“ Wurde ich tatsächlich rot im Gesicht? Ja, in der Tat. Ich wiederholte meine Argumente und ergänzte, dass es mir sehr unangenehm ist und ich defintiv bei diesem Part nicht anwesend sein möchte. Ich verliess schnell den Raum und wartete draussen vor der Tür. Zwischen Rasdhani und mir gibt es eine besondere Vorgeschichte. Als ich bei einem meiner Besuche im Jahr 2019 bemerkte, dass sie sehr stark an Gewicht verloren hatte und alles andere als gut aussah, habe ich sie eines Abends gemeinsam mit meiner Übersetzerin Samjhana besucht. Ich wollte wissen, was passiert war, dass Rasdhani so stark abgebaut hatte. Und da erzählte sie mir, wie es ihr geht und unter welchen Beschwerden sie leidet und auch, unter welcher Belastung sie steht, so oft alleine für Haus, Hof und Kinder verantwortlich zu sein, wenn Kaman wieder einmal als Koch für Trekkinggruppen arbeitet und er dann wochenlang nicht zu Hause ist. Und seit dem Gespräch fühlen Rasdhani und ich uns sehr verbunden, denn ich hörte ihr zu und sie fühlte sich verstanden. Ihr Schicksal steht für die meisten Frauen in Nepal. Die Männer sind unterwegs, verdingen sich als Träger, Koch oder Guide oder gehen gar ins Ausland, um das Einkommen der Familie irgendwie zu sichern und die Frauen sind auf sich alleine gestellt.
Am nächsten Tag herrschte in der Lodge Aufbruchstimmung. Ich musste Abschied nehmen vom Dorf und seinen mir ans Herz gewachsenen Menschen, was mir nicht leicht fiel. Nun würde es wieder gut ein Jahr dauern, bis ich wieder nach Rapcha komme. Kaman, Rasdhani, Jobir, Khasbir, Jeni, Hensel, Chandra,…. alle standen sie vor mir und sahen ein wenig traurig aus. Ich sagte ihnen, dass man Abschied nehmen muss, um zurück zu kommen. Und das werde ich. Ganz bestimmt!
Liebe Vereinsmitglieder, lieber Förderer! Im Namen von Re:Help und der Dorfgemeinschaft von Rapcha danke ich Ihnen allen von Herzen für Ihre Unterstützung, welche Sie unserem Verein in den letzten 10 Jahren haben zukommen lassen. Ohne Ihre Zuwendungen wäre Rapcha immer noch ein kleines Dorf mit einer maroden Schule. Sie alle haben maßgeblich dazu beigetragen, dass wir den Bildungsstandart deutlich erhöht und die Gesundheitsversorgung verbessert haben. Ich verspreche Ihnen, dass jeder Spendeneuro sinnvoll verwendet wird und zu 100% in unsere Projekte fliesst.
*alle Reisekosten einschliesslich von Pancha Rai wurden aus privaten Mitteln finanziert